Während die Logotherapie mit ihrem besonderen Menschenbild und ihrer entsprechenden Methodik den Mittelpunkt meiner therapeutischen Arbeit bildet, ergänze ich sie durch die gegenwärtigen Erkenntnisse und Sichtweisen der Polyvagaltheorie von Stephen Porges. Die Polyvagaltheorie erweitert die Grundlage im Verstehen und Bewältigen von traumatischen Erlebnissen und psychischen Problemen, sowie unseren Verhaltensweisen im Alltag. Als Therapieanwendung ist sie, in Kombination mit der Logotherapie, prädestiniert für die nachhaltige Behandlung von traumatischen Erlebnissen. Im Zentrum dieser Sicht- und Arbeitsweise steht das autonome Nervensystem des Menschen, der Bereich, den wir nicht willentlich beeinflussen können und der die Gesamtheit unserer inneren Vorgänge steuert, insbesondere auch unser Stresssystem und Gefühlserleben. Ob wir uns sicher und geborgen, in Aufruhr und Angst oder leer und hilflos fühlen – all das steuert unser autonomes Nervensystem, indem es drei Grundzustände auslösen kann:
Ins Bild gefasst funktioniert es wie eine dauerhaft scharf geschaltete Alarmanlage, die eine jede Situation, in der wir sind und jede Begegnung in der wir uns befinden nach drei Kategorien unterscheidet und die zugehörige autonome Reaktion auslöst:
Ist diese Situation/Begegnung…
…sicher?
…gefährlich?
…lebensgefährlich?
Je nach unserer Vorerfahrung stuft das autonome Nervensystem in Sekundenbruchteilen die jeweilige Situation oder Begegnung nach diesen drei Kategorien ein und löst eine entsprechende autonome körperliche und emotionale Reaktion aus. Dabei steht jede autonome Reaktion immer im Dienste unseres Schutzes und Überlebens, denn genau das ist die Aufgabe des autonomen Nervensystems: unser Überleben.
Ein Beispiel: ein Mensch erlebte einst einen Panikzustand mit starken Ohnmachts- und Schwindelgefühlen beim Warten an der Supermarktkasse. Die überwältigenden Angstgefühle veranlassen ihn, die Situation zu verlassen und er flüchtet letztlich aus dem Supermarkt, woraufhin die Angstgefühle unmittelbar nachlassen.
Aus Sicht des autonomen Nervensystems befand sich der Betroffene zunächst in zunehmender Gefahr und es wurde Zustand 2, also Flucht ausgelöst, um der vermeintlich gefährlichen Situation zu entkommen, das Überleben dadurch zu sichern. Das autonome Nervensystem speichert all unsere Erfahrungen ab und lernte dadurch, das Warten an der Supermarktkasse als potenziell als „gefährlich“ einzustufen. Infolgedessen kann es bei allen folgenden Supermarkbesuchen eine automatische Angstreaktion auslösen, um den Betroffenen vor der (vermeintlich wiederkehrenden) Gefahr zu schützen.
Aus therapeutischer Sicht ist es nun wichtig zu entfalten, wie es ursächlich zum Panikzustand kam, um dann dem autonomen Nervensystem wieder beizubringen im Supermarkt künftig keine unpassende Stressreaktion mehr auszulösen.
Für ein traumatisches Ereignis oder eine scheinbar irrationale Angstreaktion sind die Erkenntnisse der Polyvagaltheorie bahnbrechend, denn das bedeutet letztlich: nicht ich reagiere, sondern mein autonomes Nervensystem, das mich schützen will und nur noch nicht gelernt hat, dass die Gefahr lange schon vorüber ist.
Die Reaktionen Ihres autonomen Nervensystems kennenlernen, sie im Alltag beobachten und umzuformen ist der Kern der Polyvagaltherapie. Dadurch lernen Sie, auf völlig neue Art mit sich in Kontakt zu kommen und Ihre Reaktionen als Schutzreaktionen anders zu betrachten. Die Sprache Ihres autonomen Nervensystems ist die Körper- und Gefühlssprache, lernen Sie sie kennen und als wertvolle Verbündete schätzen.
Da gibt es eine Stimme, die keine Worte benutzt – höre ihr zu.
(Rumi)
Carsten Kärcher
Heilpraktiker für Psychotherapie
Scheffelstr. 83
68723 Schwetzingen
Telefon 0172 / 879 1175